Auch Führungskräfte werden von ihren Mitarbeitern häufig als Snob wahrgenommen, und das hat unterschiedliche Gründe. Manche legen ganz bewusst ein überhebliches Verhalten an den Tag, weil sie das für einen guten Führungsstil halten, um sich durch Abgrenzung die nötige Autorität zu verschaffen, andere werden als Snob wahrgenommen, ohne sich dessen bewusst zu sein und sind oft ratlos, warum es im Umgang mit ihren Mitarbeitern immer wieder zu Irritationen kommt oder sie nur ein unterkühltes Verhältnis zu ihnen haben. […]

So kamen sie [Marcello und Marian] schließlich auf das Thema »Pacing« zu sprechen, manche kennen es auch unter dem deutschen Ausdruck »Spiegelung«. Im Englischen bedeutet das Verb »to pace« den Schritt des anderen annehmen, mit ihm Schritt halten. Pacing ist ein natürliches Phänomen, bei dem sich Menschen, die sich gut verstehen, einander angleichen. Das kann verbal oder non-verbal sein, also beispielsweise in Bezug auf Tonfall, Stimme, Lautstärke, Sprechtempo, Körperhaltung oder Gestik. Wir haben im Deutschen sogar ein Sprichwort dafür: »Gleich und gleich gesellt sich gern.« Diese Gleichheit oder Ähnlichkeit schafft Sympathie, die wiederum vertrauensbildend wirkt und so die Beziehung stärkt. Im Fachjargon wird das auch Rapport genannt.

Zu einem Rapport kommt es immer dann, wenn Menschen Gemeinsamkeiten an sich feststellen, entweder auf einer bewussten oder auf einer unbewussten Ebene. Auch gemeinsame Interessen können zum Rapport führen, wie beispielsweise die Liebe zum selben Fußballverein, aber auch ein gemeinsamer Feind. Menschen, die einander sympathisch finden, pacen oder spiegeln das Verhalten meistens unterbewusst: Kratzt sie sich am Ohr, übernimmt er diese Geste kurz darauf automatisch. Er verwendet das Wort »tatsächlich« – ein paar Sätze später baut sie dieses Wort ebenfalls in ihren Dialog ein.

Während Pacing in der alltäglichen Kommunikation also praktisch automatisch erfolgt (oder eben auch nicht), setzen es Psychologen und Psychotherapeuten genauso wie Coaches und Berater ganz gezielt im Umgang mit ihren Klienten ein, wenn sie eine vertrauensvolle Beziehung zu ihnen aufbauen wollen. Dieses bewusste Nachahmen anderer Menschen, damit sie sich in meiner Gegenwart wohlfühlen, kann dabei allerdings auch gegen die Interessen des Gespiegelten eingesetzt werden, also einen manipulativen Charakter haben. Denn nach dem Pacing folgt das Leading, was bedeutet, dass ich durch diese bewusst hergestellte Vertrauensbasis eine viel bessere Ausgangsposition habe, um meinen Klienten dadurch argumentativ in eine bestimmte Richtung zu lenken oder ihm beispielsweise ein bestimmtes Produkt zu verkaufen. Den Aspekt der Manipulation können wir in unserem Kontext außen vor lassen: Weder Frank noch Marian wollten durch ihr Pacing – denn nichts anderes ist eine angemessene Kleidung oder eine positive, empathische Kommunikation – ihre Mitarbeiter beeinflussen, damit sie ihnen anschließend eine Lebensversicherung unterjubeln konnten. Beide hatten sich schon länger gefragt, warum ihr Umfeld sie anders als von ihnen gewollt wahrnahm und beide waren sich nicht bewusst gewesen, dass das lediglich am Rapport-Bruch lag: Weil sie nicht gepact hatten, war bei ihren Mitarbeitern der Eindruck entstanden, dass sie sich als etwas Besseres vorkamen und bewusst nicht zum Team gehören wollten.

Es wäre übrigens auch ein Rapport-Bruch gewesen, wenn Frank in Shorts und Flip-Flops zu seinen Meetings im Werk erschienen wäre, denn dann hätte ihn niemand ernst genommen. In seinem Fall bestand der Rapport- Bruch darin, dass er durch seine Kleidung signalisiert hatte: Ich stehe über euch, weswegen er als Snob wahrgenommen wurde. Durch eine kleine Anpassung konnte dieses Missverständnis schnell aus dem Weg geräumt werden. Bei Marian lag der Rapport-Bruch zum Teil auch an seinem oft zu formellen Kleidungsstil, viel wichtiger erschien es uns jedoch, an seiner gesamten Kommunikation zu arbeiten. Das ging von einer positiven, zugewandten Körpersprache über die Aufnahme von Blickkontakt bis hin zu seiner Garderobe. Marcello ermunterte ihn ausdrücklich, authentisch zu sein – also wenn es passte, über seine Erfahrungen aus der Lehrzeit zu berichten oder wie schwierig es gewesen war, in der Abendschule das Abitur nachzuholen. Erstens, weil es nun mal stimmte, und zweitens, weil er dadurch weniger abgehoben wirkte als zuvor.

So konnte er allmählich einige Barrieren in seinem Umfeld abbauen. Dem jungen Familienvater, der gerade berufsbegleitend seinen Meister machte, war er dadurch sofort sympathisch. Viel besser jedenfalls, als ständig mit englischen Fachausdrücken um sich zu werfen, wie Marian es vorher getan hatte, nur um unter Beweis zu stellen, wie gebildet er doch war. Auch das hatte unnötige Distanz geschaffen und seinen Mitarbeitern das Gefühl gegeben, dass er über ihnen stehen wollte.

Vor allem der letzte Punkt ist uns sehr wichtig: Natürlich wissen wir, dass bestimmte Anglizismen aus der deutschen Sprache nicht mehr wegzudenken sind, und es wäre Unsinn, alles krampfhaft ins Deutsche übersetzen zu wollen. Gleichzeitig kann ein sinnloses Blabla voller Anglizismen, das von manchen als »Bullshit-Bingo« bezeichnet wird, auch nicht die Lösung sein. Getreu dem Motto: »Wenn du nicht weißt, was du sagen sollst, dann sag es auf Englisch.«[1] Etwas Zurückhaltung wäre hier in vielen Fällen durchaus angebracht, vor allem, wenn ich gar nicht weiß, was die von mir verwendeten Anglizismen bedeuten, aber das ist ein anderes Thema …

Gerade als Führungskraft sollte ich mich immer um eine zielgruppenorientierte Ansprache bemühen: Ich muss also einerseits in der Lage sein, mich angemessen mit Geschäftsführern und Vorständen unterhalten zu können, aber genauso gut im Umgang mit meinen Teamleitern aus der Produktion den richtigen Ton treffen. Werfe ich im falschen Kontext ständig mit Anglizismen um mich, dann sollte ich mich nicht wundern, wenn ich als elitärer Snob wahrgenommen werde. […]

Auszug aus dem Buch „Führung ist mehr – 27 Fragen, die wir auch beantworten können“ von Gianni, Jan und Marcello Liscia, 2022

[1] spiegel.de, Sprechen Sie Bullshit? Manager-Phrasen, veröffentlicht am 25.11.2014.

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