Wer sich mit den Themen Führung und Coaching auseinandergesetzt hat, ist höchstwahrscheinlich in der Fachpresse oder auf Seiten von Anbietern offener Trainings auf Titel gestoßen wie „die Führungskraft als Coach“. Wie viel Sinn aber macht es, Führungskräfte zu Coaches ihrer Mitarbeiter/innen zu machen? Oder ist gar jede Führungskraft automatisch auch Coach seiner Mitarbeiter/innen? Um diesen Fragen näher auf den Grund zu gehen, lassen Sie uns einmal ein wenig ausholen und die Persönlichkeit eines Menschen und Coaching im Allgemeinen betrachten, um dann die Verknüpfung zur Führung vorzunehmen.

Die Persönlichkeit eines Menschen – und darin sind sich Psychologen weitestgehend einig – ist zu ca. 70% genetisch festgelegt. Zur Persönlichkeit gehören zum Beispiel Eigenschaften wie Offenheit, Extra- oder Introversion, Kreativität, Gewissenhaftigkeit oder Optimismus. 30% unterliegen demnach äußeren Faktoren wie Prägung, Erziehung, Erfahrung und Lernen. 92% der Persönlichkeit insgesamt wiederum entwickeln sich bis etwa zum 6. Lebensjahr eines Menschen. In diesem Alter werden auch schon die ersten Glaubenssätze festgelegt und es entwickeln sich Werte. Mehr oder weniger „fertig“ ist die Persönlichkeit in einem späten Teenager-Alter, was nicht heißt, dass wir nicht ein Leben lang lernen können. Auch ist die Vorstellung überholt, dass Lernen mit zunehmendem Alter schwieriger wird. Es kommt eher darauf an, dass man mit dem Lernen nie aufhört, um gewissermaßen dem Gehirn zu gestatten, diesen Lernmodus stets aufrecht zu erhalten. Folglich verändert Coaching etwa auch nicht die Persönlichkeit eines Menschen – auch wenn wir häufig in dem Kontext von Persönlichkeitsentwicklung sprechen – sondern vielmehr ist es ein Mittel, um bereits vorhandene Potentiale zu wecken und in die richtigen Bahnen zu lenken.

Nun ist es doch eine sympathische Vorstellung, auch bei Mitarbeitern Potentiale zu wecken und zu leiten, oder nicht? Betrachten wir das Modell des situativen Führens nach Kenneth Blanchard, so fällt auf, dass der Führungsstil für den dritten von vier Reifegraden Coaching genannt wird. Coaching als Führungsstil bedeutet hierbei aber nicht, dass dem Coachee oder dem Mitarbeiter bzw. der Mitarbeiterin gegenüber Empfehlungen ausgesprochen werden. Und unter keinen Umständen geht es darum, Anweisungen zu geben. Coaching als Führungsstil bedeutet, einen Dialog zu führen, in dem von der Führungskraft die richtigen Fragen gestellt werden, um vom Mitarbeiter/der Mitarbeiterin die richtige Antwort für sich und für den Prozess zu erhalten.

In einem Coaching muss ein starkes Vertrauensverhältnis zwischen dem Coach und dem Coachee vorliegen. Der Coachee muss sich beim Coach wohlfühlen. Genauso verhält es sich auch im Verhältnis von Führungskraft und Mitarbeiter. Ein starkes Vertrauensverhältnis ist hier ebenso essenziell und unabdingbar. Zwei Grundvoraussetzungen, die also in beiden Szenarien übereinstimmen. Nichtsdestotrotz kann es vorkommen, dass Mitarbeiter lieber mit einer neutralen und externen Person sprechen als mit ihrer Führungskraft, wenn es um Themen geht, die sehr persönlich sind. Bei allem Vertrauen möchte der Mitarbeiter seiner Führungskraft unter Umständen nicht seine Schwächen zeigen, würde dies aber einem Coach gegenüber tun.

Auf der anderen Seite fällt es Führungskräften zum Teil auch schwer, diesen Rollenwechsel von Führungskraft zu Coach und wieder zurück vorzunehmen bzw. die Rollen klar auseinander zu halten. Nichtsdestotrotz gibt es viele Tools aus dem Coaching oder aus der Psychologie (und Coaches und Psychologen arbeiten häufig mit den gleichen Instrumenten und Modellen, setze sie nur anders ein), die für eine Führungskraft eine wertvolle Ergänzung zu bereits vorhandenen und erprobten Techniken und Modellen ergeben können. Dazu zählen zum Beispiel Fragetechniken, das Werte- und Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun, die Transaktionsanalyse nach Eric Berne oder auch unser selbst entwickeltes Modell story changing®, um nur einige aufzuzählen.

Die Führungskraft kann Coachingtools nur zur Selbstreflexion verwenden, um sich und die eigene Führung zu hinterfragen. Sie kann die Tools aber auch im Führungsprozess einsetzen, ohne diese dem Mitarbeiter gegenüber als solche zu bezeichnen. Es besteht letztlich auch die Möglichkeit, offen und transparent diese Instrumente einzusetzen und sie auch beim Namen zu benennen, um mit Mitarbeitern gemeinsam zu reflektieren und Prozesse – und wenn es auch manchmal nur Denkprozesse sind – voranzuschieben.

Abschließend lässt sich also sagen, dass wir die Aussage Führungskraft gleich Coach nicht gänzlich unterschreiben. Den Nutzen von Coachinginstrumenten für Führungskräfte aber vollends als sehr hoch bezeichnen. Somit ist es für jeden, der Führungsverantwortung hat lohnenswert, sich mit dem Thema Coaching auseinander zu setzen.