In beruflichen Zusammenhängen besteht ein Team ebenfalls aus Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen und Fähigkeiten, die den Erfolg als ein gemeinsames Ziel definieren sollten – dementsprechend müssten Werk und Zentrale, wollen sie erfolgreich am Markt agieren, doch eigentlich auch an einem Strang ziehen. Meistens tun sie dies zwar, stehen sich jedoch als feindliche Teams an den beiden Enden des Taus gegenüber und haben eben nicht den gemeinsamen Erfolg vor Augen, sondern möchten einzig und allein das jeweils andere Team über die Linie ziehen, um es zu besiegen. Nicht der Wettbewerb oder die Auseinandersetzung mit einem externen Konkurrenten stehen im Vordergrund und spornen jeden Tag aufs Neue zu außergewöhnlichen Leistungen an – an den Tauenden stehen sich also nicht Pepsi und Cola, McDonalds und Burger King oder iPhone und Samsung gegenüber, der »Feind« kommt vielmehr aus den eigenen Reihen: Man spielt nicht im gleichen Team, sondern tritt gegeneinander an. […]

An dieser, oftmals festgefahrenen Situation sind beide Seiten nicht ganz unschuldig. Grundsätzlich empfinden die Werke, die vor Ort produzieren, also letztendlich die wertschöpfende Arbeit leisten, die Zentrale oft als einen theoretischen Wasserkopf, der im wahrsten Sinne des Wortes aufgeblasen ist: Irgendwo in der Zentrale gibt es also Menschen, die – aus Sicht eines Schichtleiters im Werk – enorme Summen verdienen, aber wenn man sie braucht und sie ins Werk gefahren oder gar geflogen kommen, dann taucht womöglich gleich eine ganze Armada Schlipsträger auf, die sich zwar für unheimlich schlau und wichtig halten, aber wahrscheinlich noch nie ein Werk von innen gesehen, geschweige denn darin gearbeitet haben – sie verkomplizieren die Dinge nur unnötig (und halten noch dazu die Leute vom Arbeiten ab) als dass sie tatsächlich brauchbare Lösungen präsentieren. […]

Genauso negativ kann es übrigens im Werk ankommen, wenn sie in einer kritischen Situation Hilfe von der Zentrale anfordern, sich aber niemand vor Ort blicken lässt. Stattdessen erhalten sie per Mail womöglich diverse Formulare, die sie ausfüllen sollen, damit sich die Zentrale erst mal einen Eindruck von dem Problem verschaffen kann. »Ist es denn tatsächlich zu viel verlangt, einfach mal vorbeizukommen, um sich das Problem anzusehen?«, heißt es dann. »Die feinen Herren sitzen wohl lieber im warmen Büro als sich hier die Hände schmutzig zu machen!« »Wie man es macht, macht man es falsch«, würde die Zentrale an dieser Stelle wohl denken.

Ohnehin löst eine als unnötig empfundene Bürokratie schnell eine gewisse Aversion in den Werken aus, was allerdings nicht weiter verwundert – denn wenn die Zentralen für das gesamte Unternehmen Richtlinien oder Vorschriften produzieren, haben sie oftmals keinerlei Vorstellung davon, was das in den einzelnen Werken auslösen kann. Diejenigen, die in den Zentralen für das Quoting zuständig sind, mussten wahrscheinlich noch nie mit eigenen Händen ein Produkt zusammenbauen und können gar nicht wissen, was eine, in ihren Augen minimale Veränderung für Konsequenzen in der Produktion nach sich ziehen kann. Während die Zentrale also nach Standardisierung bzw. Kosten- und Prozessoptimierung strebt und dabei womöglich alles über einen Kamm schert, vergisst sie tatsächlich nicht selten die speziellen Gegebenheiten vor Ort, die in den Werken durchaus unterschiedlich sein können. […]

Manchmal entstehen solche Konflikte aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven der beteiligten Personen, ähnlich wie wir es in Frage 6 bezüglich der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und ihren Betriebsräten dargestellt haben: Die Zentrale muss, wie jeder Unternehmer, in größeren zeitlichen Bögen denken – also die gegenwärtige Realität bewältigen, aber gleichzeitig die Ausrichtung auf die Zukunft nicht vernachlässigen und dabei noch die gesamte Situation in sämtlichen Werken im Blick haben. Dem einzelnen Werk hingegen geht es, wie den Betriebsräten, jedoch hauptsächlich um das Hier und Jetzt, also dass in der Gegenwart die Produktion gesichert ist. Was in fünf Jahren kommt, daran wird momentan nicht gedacht. Notfalls klebt man, wenn es gar nicht anders geht, einfach ein Kaugummi zwischen zwei Komponenten – Hauptsache, die bestellten Teile werden irgendwie fertig, können das Werk fristgerecht verlassen und der Kunde ist für den Moment zufrieden. Kommt es in vier oder fünf Jahren aufgrund dieser provisorischen »Lösung« dann zu einer großen Rückruf-Aktion, muss sich ja sowieso die Zentrale darum kümmern, also ist es jetzt erst mal egal. […]

Daher hängt das oft problematische Verhältnis zwischen Zentrale und Werk auch damit zusammen, welche Funktion die beiden Teammitglieder einnehmen: In der Zentrale agieren Manager, sie kümmern sich also hauptsächlich um Strukturen, Prozesse, Zahlen, Daten und Fakten wie etwa Quartals- und Jahresergebnisse, Auslastung etc. Sie tun dies in aller Regel nach bestem Wissen und Gewissen, nur wissen sie vom Operativen einfach nicht genug, weil sie noch nie in einem Werk tätig waren.

Im Werk hingegen agieren Leader: Sie sind nicht nur stärker ins Tagesgeschäft eingebunden und haben dementsprechend weniger Zeit für die strategische Arbeit, sondern arbeiten vor allem mit Menschen zusammen, für die sie die Verantwortung tragen. Leader müssen eine berufliche Heimat für ihre Mitarbeiter schaffen, damit diese sich wohlfühlen und produktiv sein können. Hat die Zentrale jedoch vergessen, bei der Werkserweiterung genügend Mitarbeiterparkplätze einzuplanen, entsprechend größere Kantinen oder hat man in der Produktion an Equipment und Anlagen gespart, kommt es regelmäßig zu Stress und Überforderung, weil die Prozesse in der neuen Halle einfach nicht funktionieren, dann wird einem Leader seine Arbeit unnötig schwer gemacht. Seine Mitarbeiter werden nicht mehr so engagiert sein wie unter optimalen Bedingungen oder sich womöglich eine andere Stelle suchen, wenn die Probleme auf absehbare Zeit nicht abgestellt werden.

Auszug aus dem Buch „Führung ist mehr – 27 Fragen, die wir auch beantworten können“ von Gianni, Jan und Marcello Liscia, 2022

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