Bevor wir diese Fragen beantworten, erscheint es uns sinnvoll, erst einmal zu definieren, was Coaching überhaupt ist und was wir darunter verstehen. […]

Seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts spielte Coaching in den USA zunehmend auch in den Unternehmen eine wichtige Rolle, Mitte der achtziger Jahre schwappte dieser Trend nach Deutschland über. Seitdem hat sich der Coaching-Markt zunehmend ausgeweitet – besonders seit Beginn des neuen Jahrtausends kann man für nahezu alle Lebenslagen die entsprechenden Coachings buchen. […]

Abstrakt ausgedrückt ist Coaching ein strukturierter Dialog, der während eines Veränderungsprozesses eine Selbstreflexion in dem Coachee auslösen soll, damit sich ihm Alternativen und Optionen eröffnen.

Konkret bedeutet Coaching, dass der Coachee die Möglichkeit bekommt, in einem offenen Gespräch Dinge zu reflektieren. Dabei steht ihm ein Sparringspartner zur Seite, der ihn durch diese Selbstreflexion leitet: der Coach. Dieser unterliegt einer strengen Schweigepflicht, sodass nichts, was während eines Gesprächs offengelegt wird, an Dritte gelangt. Im Gespräch hat der Coachee die volle Aufmerksamkeit seines Coachs, der zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Fragen stellt – oder wie Friedemann Schulz von Thun es einmal sehr treffend ausgedrückt hat: »Wäre es da nicht gut, Sie müssten nicht alleine im stillen Kämmerlein ausbrüten und entscheiden, sondern Sie könnten sich darüber aussprechen und beraten mit einem klugen Menschen, der Ihnen wohl will und Ihnen hilft, hundert Fäden zu entwirren, die in Ihrem Kopf zusammenlaufen und sich nicht selten verknäulen? Mit jemandem, der gut zuhören kann, aber im entscheidenden Moment auch etwas Kluges von sich gibt oder, oft noch wichtiger, die richtigen Fragen stellt? […] Mit jemandem, der Ihre Brille aufsetzt und alles mit Ihren Augen anschaut, aber dann plötzlich auch die Brille wechselt und ein ganz neues Bild wahrnimmt, das er Ihnen zeigt? Der Ihnen Wertschätzung und Respekt entgegenbringt, Sie aber auch mit Feedback konfrontiert?«

Im Vordergrund steht während des gesamten Coachings das Ziel, Klarheit für die eigene Situation zu bekommen und für sich die Möglichkeit zu haben, eine Entscheidung treffen zu können. Welche Optionen und Alternativen zur Verfügung stehen, erarbeitet sich der Coachee eigenständig – der Coach gibt dabei zu keinem Zeitpunkt Lösungen vor, daher bleibt die Eigenverantwortung des Coachees stets gewahrt. Der Coach leistet also lediglich Hilfe zur Selbsthilfe.  

In diesem Prozess werden die Stärken der bisherigen Situation und bereits vorhandene Ressourcen genutzt, um die gewünschte neue Situation oder ein Ziel zu erreichen. Ein einfaches Beispiel mag dieses Prinzip verdeutlichen: Eine Führungskraft, die bisher 90 bis 120 Stunden in der Woche gearbeitet hat, möchte die wöchentliche Arbeitszeit deutlich reduzieren. Die Eigenschaften, die sie zum Status quo geführt haben, waren vor allem Konsequenz, Disziplin, Pflichtbewusstsein und Durchhaltevermögen. Nun gilt es, den Fokus dieser Eigenschaften neu auszurichten, d.h. sie werden gezielt auf Freizeit, Familie oder Entspannung gelenkt.

Mit diesem Beispiel möchten wir allerdings nicht den Eindruck erwecken, dass sich Coaching nur an die höheren Führungsetagen richtet. Grundsätzlich eignet sich Coaching für jeden, also auch für angehende Führungskräfte oder jene, die eine solche Position weder innehaben noch anstreben. Dennoch gibt es auf der Geschäftsführungs- oder Vorstandsebene gewisse Themen, die kann ich nicht mit meinen Mitarbeitern reflektieren, oder Themen, über die ich nicht mit meinen Kollegen sprechen möchte. Wenn die betreffenden Personen jedoch in der Hierarchie nach oben schauen, dann gibt es keinen Vorgesetzten mehr, mit dem sie dies tun könnten. Insofern ist es gerade für Führungskräfte enorm wichtig, in herausfordernden Situationen einen Sparringspartner an ihrer Seite zu haben.

Im Business-Kontext können typische Coaching-Anlässe die Bereiche Arbeitsorganisation, Konfliktbewältigung, Karriere oder Mitarbeiterentwicklung sein, aber auch strategische Bereiche umfassen. Die Situation und die Notwendigkeit einer Veränderung entscheidet darüber, wer ein Coaching in Anspruch nehmen sollte und wer nicht.

Ist die Entscheidung gefallen, dann gestaltet sich der Ablauf eines Coachings in aller Regel so, dass mit der Überprüfung des Status quo begonnen wird: Welche Verhaltensmuster gibt es beim Coachee? Was sind seine Grundüberzeugungen und Werte? Und wie sieht sein Leben und sein Alltag grundsätzlich aus?

Im zweiten Schritt teilt er seinem Coach mit, was verändert werden soll. Gemeinsam wird dieser Wunsch anschließend konkretisiert und genau definiert. Sobald das geschehen ist, kommen mögliche Zweifel des Umfelds und des Coachees selbst zur Sprache. Eine Veränderung, die er für sich initiiert, bedeutet gleichzeitig auch automatisch eine Veränderung für das nähere Umfeld. Daher ist es wichtig, dieses Umfeld in die bevorstehende Veränderung mit einzubeziehen. Bestehende Zweifel können sich in Form von fehlender Akzeptanz bis hin zu Widerständen und Blockaden äußern. Darauf muss sich der Coachee vorbereiten. Aber auch bei ihm selbst können Zweifel bestehen oder im Verlauf des Prozesses auftreten, die sich auf die Sinnhaftigkeit oder die eigenen Fähigkeiten beziehen. Hier unterstützt der Coach bei der Entscheidung, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um diesen Zweifeln entgegenzuwirken.

Wenn das »Was?« geklärt ist, dann ist die Frage nach dem »Wie?«, also die Umsetzung, meistens noch offen. In diesem Zusammenhang bietet es sich in der Regel an, vom klassischen Coaching zum hybriden Coaching zu wechseln. »Hybrid« bedeutet von seiner Wortherkunft her soviel wie Mischung, Kreuzung oder Mischform – es wird also etwas von zweierlei Herkunft oder aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt bzw. kombiniert. Durch die Verbindung eines Elektro- mit einem Verbrennungsmotor werden beim Hybridauto beispielsweise zwei unterschiedliche Antriebe vereint.

Im Fall von hybridem Coaching liegt der Schwerpunkt nach wie vor auf dem Coaching. Hybrid bedeutet dann, dass wir in Absprache mit dem Coachee auch andere Elemente zum Beispiel aus dem Training mit einfließen lassen, wenn es die Situation erfordert. […]

 

Auszug aus dem Buch „Führung ist mehr – 27 Fragen, die wir auch beantworten können“ von Gianni, Jan und Marcello Liscia, 2022