In der Unternehmensstruktur spielt der Vertrieb zwar eine entscheidende Rolle, ist jedoch nicht mit dem Verkauf zu verwechseln. Vielmehr ist es seine Aufgabe, die Rahmenbedingungen für den Verkauf zu schaffen. Das geht von der Mitwirkung bei der Produktentwicklung bis hin zur Etablierung und Pflege von Vertriebskanälen, durch die der Verkauf dann hindurchgeht, um zu verkaufen. Viele Unternehmen ziehen hier keine klare Trennlinie, da sie sich nicht bewusst sind, dass im Vertrieb andere Kompetenzen und Charaktere gefragt sind als im Verkauf.

Ein weiterer Grund, warum der Vertrieb nicht erfolgreich agiert, kann am schlechten Zeitmanagement liegen. Seitdem viele Unternehmen das Tablet für ihren Vertrieb »entdeckt« haben, sind ihre Vertriebsmitarbeiter dazu angehalten, die Besuchsberichte direkt nach dem Kundentermin ins System einzugeben. Früher wurde das nur kurz handschriftlich festgehalten, an den Vertriebsinnendienst weitergegeben, der dann die Berichte ausformulierte. Wenn ich aber nach einem Kundenbesuch, der eine Stunde gedauert hat, noch fünfzehn Minuten einen Besuchsbericht verfassen muss und ich habe vielleicht vier Termine am Tag, dann geht dabei eine ganze Stunde pro Tag drauf. Also fehlt mir ein Kundentermin am Tag. Das heißt, in einer Woche habe ich fünf Termine weniger, in einem Monat 22 Termine weniger und im Verlauf eines Jahres nehme ich insgesamt 220 Termine weniger wahr. Bei einem Auftragsschnitt von 1:8 fehlen mir in diesem konkreten Fall ungefähr dreißig Aufträge im Jahr! Daher muss der Vertrieb von überflüssigen Verwaltungsaufgaben entlastet werden, um möglichst viel Zeit beim Kunden verbringen zu können. Das gilt übrigens auch und besonders für den Freitag. Denn immer wieder hören wir von unseren Kunden: »Unser Vertrieb macht freitags Homeoffice, um seine Besuchsberichte zu schreiben und andere Dinge zu regeln, die während der Woche liegengeblieben sind.« Das geht gar nicht! Besonders freitags hat der Vertrieb beim Kunden zu sein, denn für viele ist das der entspannteste Arbeitstag der Woche, weil nur wenige oder gar keine Meetings stattfinden und sie Zeit für andere Dinge haben.

Teilweise landen Mitarbeiter auch mehr oder weniger zufällig im Vertrieb. Sie haben vor Jahren in irgendeinem Bereich des Unternehmens angefangen und sind dann in den Vertrieb geschoben worden, als dort eine Stelle frei wurde. Oft funktioniert das sogar eine ganze Weile, vor allem in guten Zeiten. Denn dann macht der Vertrieb im Prinzip nichts anderes als Bestellannahme. Es gibt Unternehmen, in denen über viele Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg nicht verkauft, sondern nur gekauft wurde. Das heißt, ich bin als Händler in der glücklichen Lage, dass ich gar nicht viel tun muss, damit die Kunden bei mir kaufen. Auch für die Mitarbeiter ist das eine komfortable Situation, da sie keine großartigen Anstrengungen unternehmen müssen, um etwas zu verkaufen, schließlich kommt der Kunde ja von ganz allein – vielleicht gibt es einfach keinen anderen Anbieter oder das Renommee des Unternehmens ist so groß, dass die Wettbewerber keine Chance haben. Das hat aber nichts mit einem erfolgreichen Vertrieb oder Verkauf zu tun, und es ist außerdem eine Illusion zu glauben, dass dies bis in alle Ewigkeit so weitergeht. Wenn der Markt eines Tages gesättigt ist oder ein – meistens günstigeres – Nachahmerprodukt auftaucht, dann ist es mit der Leichtigkeit schnell vorbei. […]

Doch einen neuen Absatzmarkt zu erschließen, wie Vorwerk es geschafft hat, lässt sich nur mit den richtigen Mitarbeitern bewältigen. Haben Unternehmen in der Vergangenheit jedoch falsche Personalentscheidungen getroffen, um Kosten zu sparen oder weil sie es nicht besser wussten, wird sich das in Krisenzeiten garantiert rächen. Spätestens dann kommt nämlich ans Tageslicht, wenn der Vertriebsmitarbeiter nicht viel mehr kann als Bestellungen entgegenzunehmen.

Auszug aus dem Buch „Führung ist mehr – 27 Fragen, die wir auch beantworten können“ von Gianni, Jan und Marcello Liscia, 2022