Fast jeder kennt eine solche Situation aus dem beruflichen oder privaten Umfeld – während einer Diskussion oder Präsentation wird man verbal angegriffen. »Das ist doch totaler Blödsinn«, sagt beispielsweise der Vorgesetzte. Oder ein Kollege verkauft, während ich danebenstehe, meine Idee für die Umstrukturierung der Abteilung als seine eigene, obwohl er doch ganz genau weiß, dass sie ursprünglich von mir ist. Und dafür bekommt er nicht nur den Applaus der Kollegen, sondern auch noch ein anerkennendes Schulterklopfen vom Chef.

Wer wünscht sich in solchen Situationen nicht eine souveräne, schlagfertige Reaktion? Wäre es nicht erstrebenswert, diese Unverschämtheit des Kollegen nicht im Raum stehen zu lassen und stattdessen ganz klar zu sagen, von wem der Vorschlag wirklich stammt? Und dabei auch noch cool zu bleiben? »Danke, dass du meine Idee von letzter Woche aufgegriffen hast, Michael. Wenn sie dir so gut gefällt, können wir sie ja gemeinsam umsetzen.«

Doch leider klappt das nicht immer, und viele ärgern sich, dass die eigene Schlagfertigkeit im entscheidenden Moment oft auf der Strecke bleibt. Gerade jetzt käme es doch auf eine passende Antwort an, aber die kommt mir oft erst später, wenn ich frustriert an meinen Schreibtisch zurückgekehrt bin, weil der Chef mich mal wieder zu Unrecht runtergemacht hat und ich natürlich mal wieder nicht wusste, was ich entgegnen sollte.

Sicherlich hat Schlagfertigkeit und Redegewandtheit bei manchen mit Talent oder Intuition zu tun. Solchen Menschen sind diese Fähigkeiten einfach in die Wiege gelegt worden, ohne dass sie viel dafür tun mussten. Der Erfolgstrainer Jürgen Klopp, bekannt für sein Kommunikationstalent, sagte einmal in einem Interview, es sei bei ihm einfach nur Zufall, dass er stets die richtigen Worte fände und dass es ihm egal sei, ob ihm nun 29 Personen zuhörten oder eine Million.[1] Das ist natürlich beneidenswert, trotzdem muss sich niemand damit abfinden, wenn er nicht von Haus aus schlagfertig ist, denn das kann man trainieren und sollte es auch.

Dazu sollte man zunächst auf Ursachenforschung gehen, denn es kann ganz unterschiedliche Gründe haben, warum mir in bestimmten Situationen die richtigen Worte fehlen. So könnte zum Beispiel Stress eine große Rolle spielen. Aus der Forschung wissen wir, dass es umso schwieriger wird, Informationen abzurufen, je mehr Stresshormone sich in unserem Körper befinden. In diesem Kontext ist jedoch die Unterscheidung zwischen negativem und positivem Stress von entscheidender Bedeutung: Positiver Stress hat etwas mit Vorfreude zu tun. Manche sehen schwierige Situationen wie eine sportliche Herausforderung an und es macht ihnen sogar Spaß, sich mit den Kollegen ein Wortgefecht zu liefern oder eine Präsentation zu halten. Hier kann mir der positive Stress, ähnlich wie das Lampenfieber bei Bühnendarstellern, zu einem gewissen Grad verhelfen, mich zu fokussieren und eine gute Performance abzuliefern. Negativer Stress hingegen bedeutet Blockade – die Informationen können nicht abgerufen werden.

In diesem Fall sind etwa Entspannungs- und Atemtechniken äußerst hilfreich, um beispielsweise vor einer wichtigen Präsentation den Stresslevel zu senken. Oder man setzt – ähnlich wie es Gianni mit Thomas gemacht hatte, um dessen Flugangst in den Griff zu bekommen (Frage 9) – einen Anker, sodass das Kopfkino umprogrammiert wird. Gute Erfahrungen haben wir außerdem mit sogenannten Fantasiereisen gemacht, man nennt es auch positive Visualisierung, d.h. ich entwerfe in meinem Kopf ein positives Bild, wie eine bestimmte Situation ablaufen kann […].

Durch diese positive Visualisierung kann man eine Brücke zwischen Gedanken und Handlung schlagen, denn beim Lernen macht das menschliche Gehirn keinen Unterschied, ob etwas tatsächlich physisch oder nur psychisch ausgeführt wird. Demzufolge kann man besser etwas verinnerlichen, indem man es auch mental nachvollzieht.[2] Komme ich dann in die reale Situation, kann ich diesen Film ganz bewusst vor meinem inneren Auge ablaufen lassen und nicht etwa meine Horrorvorstellung, was im schlimmsten Fall passieren könnte. Dadurch bin ich in der Lage, positive Emotionen wie Sicherheit, Zuversicht oder Freude zu produzieren, sodass der negative, blockierende Stress keine Chance hat.

 

Auszug aus dem Buch „Führung ist mehr – 27 Fragen, die wir auch beantworten können“ von Gianni, Jan und Marcello Liscia, 2022

[1] Vgl. Der Spiegel (11/2012), »Schnauze!« Borussia Dortmunds Trainer Jürgen Klopp, 44, über bohrende Fragen, laute Ansprachen in der Kabine und sein Verhältnis zu Gott, S.112f.

[2]  Vgl. https://www.netzathleten.de/lifestyle/body-soul/item/236-den-erfolgvor- augen-visualisieren-im-sport, abgerufen am 03.06.2022

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