Der rasante technologische Wandel hat […] dazu geführt, dass die Halbwertzeit von Wissen sinkt, daher wird gerade im beruflichen Kontext lebenslanges Lernen unverzichtbar und besonders von den Generationen Y und Z auch eingefordert. Ein wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang das Thema Wissensmanagement: Mit der zunehmenden Erkenntnis, dass Wissen eine entscheidende Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen hat, gerät auch der bewusste Umgang mit dem Wissen und Können der Mitarbeiter immer stärker in den Fokus von strategischer wie operativer Führungs- und Personalarbeit: »Die Fähigkeit, schneller zu lernen als seine Mitbewerber, könnte für manches Unternehmen auf Dauer der einzige verbleibende Wettbewerbsvorteil sein.«[1]

Dementsprechend stehen die Unternehmen in der Pflicht, ihren Mitarbeitern Zugänge zum Lernen zu ermöglichen. Schließlich kann eine Organisation nur so gut sein wie ihre Mitarbeiter. Jack Welch, von 1981 bis 2001 CEO von General Electric, prägte in den achtziger Jahren den Begriff der »lernenden Organisation« und etablierte bei General Electric eine eigene Manager Academy: »Entfalten kann sich eine Strategie am besten in einer lernenden Organisation, in der jeder versucht, jeden Tag alles ein bisschen besser zu machen. Dazu braucht man Mitarbeiter, die sich von anderen Abteilungen und Unternehmen das Beste abschauen und es noch effektiver gestalten. Ohne eine solche Unternehmenskultur kann auch die allerbeste Idee der Welt keinen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil bewirken.«[2]

Aufgrund der Digitalisierung hat sich die »lernende Organisation« seit den achtziger Jahren natürlich sehr stark gewandelt, weil es inzwischen mehr technische Möglichkeiten gibt. Durch die Corona-Pandemie bekam diese Entwicklung noch einmal einen deutlichen Schub, aber schon in den Jahren davor zeichnete sich immer deutlicher ab, dass nicht nur Zusammenarbeit, sondern auch Lernen in Zukunft vermehrt digital stattfinden wird. HR-Abteilungen und Führungskräfte müssen hier ein entsprechendes Umfeld schaffen, um sowohl den kontinuierlichen Wissenserwerb als auch dessen Austausch innerhalb des Unternehmens zu fördern.

Allerdings ist auch der Mitarbeiter selbst gefordert, was im Allgemeinen unter dem Begriff »autonomes Lernen« zusammengefasst wird: Mitarbeiter sollen sich die für ihre Tätigkeit notwendigen Kompetenzen überwiegend selbstständig aneignen. Diese Ausrichtung geht Hand in Hand mit der Lerntheorie »70:20:10«, die in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewann. Sie wurde von dem amerikanischen Wissenschaftler Morgan McCall entwickelt, der erfolgreiches und effizientes Lernen folgendermaßen klassifizierte und dabei auch auf die Erkenntnisse des Psychologen Hermann Ebbinghaus zurückgriff: 70 Prozent des Lernens erfolgt demnach durch die tägliche Bewältigung der Herausforderungen am Arbeitsplatz, also Learning by Doing. 20 Prozent lernen Mitarbeiter durch Mentoring innerhalb des Unternehmens, also durch die Interaktion mit ihren Vorgesetzten oder Kollegen.

Letzteres ist einigen vielleicht schon einmal unter dem Begriff »Peer-to-Peer-Learning« begegnet. »Peer« bedeutet übersetzt so viel wie »Gleichgestellter« oder »Ebenbürtiger« und ist in diesem Kontext ein Kollege, der in der Unternehmenshierarchie mit mir auf einer Stufe steht. Allein durch den tagtäglichen Erfahrungsaustausch mit meinem »Peer«, durch sein informelles Feedback oder dass ich im Krankheitsfall seine Vertretung übernehme, findet ein permanenter Lernprozess statt. Nur 10 Prozent des Lernens erfolgt laut Morgan McCall durch externe Impulse, dazu zählen u.a. Trainings, Seminare, Coachings oder E-Learning.[3]

Allerdings ist die Annahme McCalls, dass lediglich 10 Prozent des Lernens durch externe Impulse erfolgt, kein Freibrief für Unternehmen, nicht mehr in Weiterbildung zu investieren und die Verantwortung dafür gänzlich ihren Mitarbeitern zu überlassen. Es ist und bleibt auch in Zukunft die Verpflichtung der Unternehmen, die notwendigen Rahmenbedingungen für Weiterbildung zur Verfügung zu stellen. Nimmt man diese Verpflichtung als Arbeitgeber wirklich ernst, dann muss zunächst einmal investiert werden – also Mitarbeiter fördern, um später auch autonomes Lernen von ihnen einfordern zu können.

Auszug aus dem Buch „Führung ist mehr – 27 Fragen, die wir auch beantworten können“ von Gianni, Jan und Marcello Liscia, 2022

[1] https://www.yumpu.com/de/document/view/11038907/nachhaltigkeitvonpersonalentwicklungsmassnahmen,abgerufen am 14.06.2022.

[2] www.karl-schlecht.de/fileadmin/daten/Download/Buecher/Welch-Winningdeutsch. pdf, S.89, abgerufen am 13.06.2022.

[3] Vgl. https://www.avendoo.de/70-20-10-die-formel-fuer-den-idealenlernprozess, abgerufen am 26.02.2020.

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