Für alle, die es nicht wissen: »Der Musculus gluteus maximus, kurz Gluteus maximus, auch Musculus glutaeus maximus (lat. für ›größter Gesäßmuskel‹ oder ›großer Gesäßmuskel‹), ist ein Skelettmuskel der unteren Extremität, […]. Er ist dem Volumen nach der größte Muskel des Menschen und einer der kräftigsten.«[1]
Wir hätten diese Frage auch etwas weniger vornehm formulieren können: Warum sollte ich als Führungskraft einen Arsch in der Hose haben? Wir meinen das natürlich im übertragenden Sinne und verstehen darunter den Mut, etwas zu bewirken und nach vorne zu treiben. Denn wenn ich als Führungskraft antrete, brauche ich eine gewisse Haltung, um zu gestalten, um etwas zu bewegen und um Verantwortung für die Menschen zu übernehmen, die mir folgen – ich brauche also einen Arsch in der Hose, um mich auch gegen Widrigkeiten durchzusetzen. Und dabei ist es egal, ob diese Widrigkeiten innerhalb oder außerhalb meiner Organisation auftreten. […]
Doch bleiben wir noch einen Moment bei den positiven Beispielen und damit bei Oliver, Direktor bei einem Konzern aus der Automobilzuliefererindustrie. Angefangen hatte er an einem der Standorte als Werksleiter, nach kurzer Zeit kamen weitere Standorte hinzu. Inzwischen wurde er zum Direktor befördert und ist damit zuständig für insgesamt fünf Werke. Wenn es irgendwo »knallt«, ist Oliver sofort persönlich vor Ort und unterstützt die Belegschaft direkt – dadurch hat er ein enges Verhältnis zu seinen Mitarbeitern, ist immer nah an ihnen dran.
In der Zeit, als er noch neue Werke dazubekam, war er bei der Konzernleitung fast schon dafür berüchtigt, wie sehr er sich für seine Leute vor Ort engagierte, und das auch für Dinge, die nicht unmittelbar mit der Arbeit im Zusammenhang standen: Hatte sein neues Werk nicht genügend Mitarbeiterparkplätze, dann »nervte« er die Konzernzentrale so lange, bis die Parkfläche entsprechend erweitert wurde – gleiches erreichte er auch für die Kantinen.
»Wenn meine Mitarbeiter zur Schicht kommen, dann wollen sie unkompliziert ihr Auto abstellen können und nicht eine halbe Stunde im Gewerbegebiet nach einem Parkplatz suchen müssen«, machte er seinen Vorgesetzten unmissverständlich klar. »Und wenn sie eine halbe Stunde Mittagspause haben, dann möchten sie sich vernünftig irgendwo hinsetzen können und etwas Warmes zu essen bekommen. Gibt es keine Kantine oder hat sie während der Spätschicht geschlossen, dann brauchen wir genügend Mikrowellen, damit sich die Belegschaft das von zu Hause mitgebrachte Essen auch warm machen kann. In dem Werk, für das ich jetzt zuständig bin, gibt es sage und schreibe eine Mikrowelle für 250 Mitarbeiter, das kann doch echt nicht angehen! Hier müssen wir dringend aufstocken, und zwar kurzfristig. Dafür schmeißen wir dann den Brötchenautomaten raus – die schrecklichen Pappdinger, die der ausspuckt, kann doch kein Mensch essen, und schon gar nicht meine Mitarbeiter!« Oliver nahm grundsätzlich kein Blatt vor den Mund, wenn es um seine Leute ging, und die dankten es ihm mit guten Leistungen.
Als er das letzte seiner fünf Werke übernahm, stellte er die Geduld der Konzernleitung mit seinem couragierten Verhalten auf eine harte Probe, denn aus ihrer Sicht arbeitete Oliver die ersten vier Wochen überhaupt nicht. Es war allerdings nicht so, dass er nicht in dem Werk auftauchte oder sich generell nicht mit seiner neuen Aufgabe beschäftigte, im Gegenteil. Oliver tat genau das, was wir immer fordern, damit Zentrale und Werk auch wirklich in einem Team spielen (Frage 19): Die ersten beiden Wochen verbrachte er komplett in der Produktion, d.h. in der ersten Woche absolvierte er die Frühschicht und in der zweiten Woche die Spätschicht. Danach führte er zwei Wochen Einzelgespräche mit jedem Mitarbeiter dieses Werkes.
Anschließend präsentierte Oliver Anfang September der Führungsetage seinen Plan, was er für das letzte Quartal des Jahres abliefern wollte sowie die Pläne für die beiden darauffolgenden Jahre. »Klingt an sich gut«, meinte der Vice President, »doch wir brauchen das alles bereits in diesem Jahr.« Nachdem Oliver seinen Plan noch einmal ganz ruhig Wort für Wort wiederholt hatte, erwiderte der Vice President: »Ich habe Sie schon verstanden, aber wir brauchen das alles schon in diesem Jahr.« Oliver wiederholte seine Pläne ein drittes Mal, daraufhin sagte der Vice President: »Vielleicht verstehen wir uns nicht.« Denn während der Verhandlung wurde Englisch gesprochen. »Wir brauchen die von Ihnen präsentierten Ergebnisse noch in diesem Jahr, also bis zum 31. Dezember.«
»Ich habe Sie schon richtig verstanden«, antwortete Oliver. »Aber in diesem Fall brauchen Sie einen neuen Werksleiter, denn das, was Sie von mir erwarten, haben Sie von meinen beiden Vorgängern auch erwartet, und ganz offensichtlich hat es ja nicht funktioniert. Sie wollen das Werk doch endlich in den Griff kriegen, und das geht nur so oder gar nicht.« Man braucht schon einen Arsch in der Hose, um der Konzernleitung nach vier Wochen im neuen Werk ganz direkt seine Kündigung anzubieten! Und noch dazu, wenn man weiß, dass einem damit womöglich auch die Beförderung zum Direktor durch die Lappen geht oder man vielleicht sogar ganz rausgeschmissen wird.
Doch Angst ist etwas, das Oliver nicht kennt, daher schlug er folgenden Deal vor: »Rausschmeißen können Sie mich allerdings auch Ende des Jahres noch, wenn ich bis dahin nicht das abliefere, was ich Ihnen heute versprochen habe. Aber wenn ich am 31. Dezember im Soll bin, können Sie sicher sein, dass ich auch in den zwei Jahren danach meine Zusagen einhalten werde.« Sein Mut wurde belohnt: Die Führungsetage stimmte, wenn auch leicht zähneknirschend, seinen Plänen zu. Heute steht das ehemals unproduktive, defizitäre Werk glänzend da.
Hätte Oliver keinen Arsch in der Hose gehabt und ängstlich agiert, dann wäre die Reaktion seiner Vorgesetzten sicherlich ganz anders ausgefallen und sie hätten den Deal abgelehnt, falls Oliver sich überhaupt getraut hätte, ihn vorzuschlagen. Womöglich wären in letzter Konsequenz die Arbeitsplätze allesamt verloren gegangen, weil man das Werk hätte schließen müssen.
Manchmal muss man sich als Führungskraft eben unbeliebt machen und – genau wie wir als Berater – unbequem sein, das ist nun mal Teil der Stellenbeschreibung. Wenn es der Sache dient, also dem Fortbestand eines Unternehmens oder Teams, dann darf man kein Hasenfuß sein, sonst ist man, selbst wenn das vielleicht hart klingen mag, einfach fehl am Platz. Dazu gehört auch die Fähigkeit, Rückschläge oder Widrigkeiten aushalten zu können, ohne sofort einzuknicken. […]
Wer in einem solchen Spannungsfeld tätig sein möchte, in welcher Funktion auch immer, der sollte seinen größten Muskel – den Gluteus Maximus – ausreichend trainiert haben, ansonsten wird er gewissen Situationen einfach nicht gewachsen sein. Und da wir schon bei Körperteilen sind: Ein paar ordentliche »Cojones« können manchmal ebenfalls nicht schaden, und das gilt – weil wir es nur im übertragenden Sinne verwenden – natürlich gleichermaßen für Frauen! […]
Auszug aus dem Buch „Führung ist mehr – 27 Fragen, die wir auch beantworten können“ von Gianni, Jan und Marcello Liscia, 2022
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Musculus_gluteus_maximus#cite_note-FCAT-1, abgerufen am 18.07.2022.